Dipl. Ing.-Agr. ETH Niklaus Bolliger, Verein Poma Culta (Hessigkofen, SO)
Heute werden genomeditierte Pflanzen oft als Heilmittel im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels propagiert. Könnten Sie sich vorstellen, genomedierte Pflanzen auf Ihrem Hof anzubauen?
Die Probleme für den Obstbau zeigen sich vorwiegend darin, dass die heute gängigen Sorten durch die Klimaveränderung nicht mehr im Einklang mit den Gegebenheiten der Jahreszeiten stehen. Beispielsweise kann das Problem entstehen, dass wegen zu wenig Kälte im Winter keine ausreichende Blühinduktion und damit ein gestörtes Blühverhalten resultiert. Zudem besteht bereits heute durch die Verfrühung des Blühzeitpunktes ein massiv gesteigertes Risiko für Schäden durch Spätfröste. Im Sommer entstehen bereits heute sogenannte Sonnenbrandschäden an den Früchten infolge zu starke Erwärmung der Fruchtoberfläche.
Die Anpassung von Pflanzen an veränderte Klimabedingungen ist eine äusserst anspruchsvolle züchterische Aufgabe, da daran eine Vielzahl von Genen beteiligt ist, deren Funktionen meist noch nicht ausreichend identifiziert und deren Zusammenspiel noch kaum erforscht ist.
Das Anpreisen von Genomeditierung als kurzfristig verfügbare Lösung von derartig komplexen Problemen ist reine Propaganda und entbehrt jeder seriösen wissenschaftlichen Grundlage.
Sorten, die einer rein genfokussierten Pflanzenzüchtung entstammen, begegnen wir mit grosser Skepsis. Sie kommen als Zuchteltern nicht in Frage.
Wie begegnen Sie dem veränderten Klima in Ihrer landwirtschaftlichen Praxis? Was hilft Ihnen dabei?
Zur Zeit sind vor allem technische Massnahmen gefragt: Frostschutzmassnahmen, Hagelschutznetze, Beschattungen, Bewässerungen etc.
Sind Sie zufrieden mit dem Angebot der Pflanzen/Samen, die heute auf dem Markt angeboten werden? Welche Wünsche haben Sie an Neuzüchtungen im Pflanzenbereich?
Der Ausgangspunkt der Poma Culta Apfelzüchtung ist die Suche nach Sorten, die sich für den Anbau im Bioanbau gut eignen, d.h. Robustheit und Feldresistenz zusätzlich zu den üblicherweise als wichtig erachteten Qualitäts- und Ertragseigenschaften.
Welche Eigenschaften sollten bei der Züchtung neuer Pflanzensorten vor allem berücksichtigt werden, damit sie einen Mehrwert für Ihre Produktion darstellen könnten?
Die Züchtung von Poma Cuta unterscheidet sich von konventionellen und insbesondere von gentechnischen Züchtungsmethoden darin, dass nicht im Labor, sondern on-farm, d.h. unter möglichst Anbau ähnlichen Bedingungen gezüchtet wird. Dieser ganzheitliche Ansatz hilft wesentlich später unliebsame Überraschungen bei neuen Sorten zu vermeiden.
Erfolgreich unter Biobedingungen gezüchtete Sorten weisen für die Produzenten einen Mehrwert in den Anbaueigenschaften auf.
Sehen Sie die Agrarökologie als hilfreiches Konzept für Ihre Arbeit?
Züchtung sollte immer mit dem Blick auf das gesamte System betrachtet werden. Jeder lebende Organismus steht in einem Lebenszusammenhang. Nur die Betrachtung der Pflanze als Teil des ganzen Umkreises führt zu nachhaltigen Problemlösungen.
Gefährdet die mögliche Zulassung genomeditierter Produkte Ihre Arbeit?
Koexistenz ist sehr schwierig zu realisieren. Es ist sicherzustellen, dass rechtlich die Beweislast für genügende Sicherheitsabstände in der Produktion, Unbedenklichkeit der GVO-Produkte etc. auf der GVO-Seite liegt und dass der traditionellen Produktion keine Kosten für den Nachweis von GVO-Freiheit entstehen. Die Entschädigung für Beeinträchtigungen der traditionellen Produktion durch "Verschmutzungen" aus der GVO-Produktion ist sicherzustellen, auch für Fälle wo der Verursacher nicht ausfindig gemacht werden kann.
Finden Sie Gentechnik unnötig? Weshalb?
Gentechnik ist unnötig. Züchtungstechnisch bietet sie keine Vorteile gegenüber der klassischen Züchtung. Sie bindet enorme Forschungsmittel für eine Sichtweise mit sehr kleinem Fokus.
Welche Probleme kämen bei einer Deregulierung der Gentechnik auf Sie zu?
Das hängt sehr stark von der Ausprägung der Deregulierung ab. Sollte diese in der Richtung gehen, dass Genomeditierung und die heute relevanten Neuen Züchtungsmethoden nicht mehr als Gentechnik benannt werden, somit keiner Regulierung unterstehen, und folglich auch keine Deklarationspflicht für daraus resultierende Nahrungsmittel bestehen würde, müsste die Wahlfreiheit der Konsument*innen privatrechtlich sichergestellt werden.
Für politisch erkämpfte "GVO-freie" Regionen könnte die Deregulierung neue Marktchancen bieten.